Alle reden von digitalen Nomadentum, #vanlife ist ein gehypter Hashtag. Und viele Freelancer wollen genau das auch am liebsten ausprobieren und den ollen heimischen Schreibtisch hinter sich lassen. Aber was kommt nach der enthusiastischen Aufbruchstimmung?
Klappt es längerfristig mit dem digitalen Nomadentum? Gibt es bewährte Routinen, auch unterwegs, oder bleibt jeder Tag überraschend? Und was weiß man nach einem Jahr unterwegs vielleicht nun auch einfach besser?
Mit Paul und Kathi von den Vannomaden haben wir letztes Jahr zu Beginn ihrer Reisen zum ersten Mal gesprochen. Ein Jahr später befragen wir sie im Realitäts-Check, wie ihr Projekt Digitales Nomadentum sich entwickelt hat – und wie es weitergeht.
1 Jahr on the road. Wo seid ihr gerade, und wo wart ihr schon überall?
Wind Nordost – Startbahn 03 oder eher A3 🙂 Wir sind gerade auf dem Weg Richtung Portugal, ans Meer, in die Wellen.
Für die ganzen europäischen Länder brauchen wir inzwischen ganze 3 Hände, in Summe sind es jetzt schon 11 und mit Surfen in Portugal und einem Musikfestival in Spanien sind es bald 13.
Wir finden das ist eine ganz gute Bilanz für ein knappes Jahr Vanlife und wir sind noch lange nicht satt.
Wie lange bleibt ihr normalerweise an einem Ort?
Wenn man unsere Statistik anschaut, so sieht wir im Schnitt 3 Tage an einem Ort – das ist goldrichtig, um ne Menge von der Welt zu sehen.
Bei einem Spaziergang in Belgien haben wir jedoch festgestellt, dass wir vielmehr einen Ort finden wollen, der unsere neue Heimat werden soll. Und dafür muss man natürlich länger als ein paar Tage an einem Platz bleiben. Deswegen ändern wir jetzt unsere Strategie und picken uns potenzielle Lieblingsplätze raus und testen die so richtig auf Herz und Nieren mit richtig Zeit.
Wir müssen selber ganz oft lernen, umzudenken und mit unserem neuen Lebensmodell richtig umzugehen. Im Prinzip haben wir ja keine Eile und wir können da sein, wo wir sind. So banal das klingt: Das vergisst man immer wieder.
In Sachen Arbeit: an welchen Projekten/Aufträgen seid ihr gerade dran?
Das Schöne ist, wir haben einen bunten Blumenstrauß an ganz unterschiedlichen Jobs.
Wir helfen zum Beispiel gerade einer NGO mit Website und Logo aus – ein bisschen pro bono Arbeit schadet niemanden.
Für die Designliebhaberin Kathi gibt es gerade ein wunderschönes Buchprojekt „The Great Outdoor – Winter Cooking“ setzt sich mit dem Wild Cooking in der kalten Jahreszeit auseinander.
Bei unserem Strategen Paul fordert gerade eine Unternehmensberatung die grauen Zellen.
Und nicht zu vergessen: ein Corporate Design und Webpräsentation für ein Kreativteam im fotografischen Bereich und die Website für eine Kajakschule.
Was uns besonders gut gefällt, ist das wir in die verschiedensten Richtungen ausgelastet sind und so viele tolle Jobs bekommen. An der Stelle ein großes Dankeschön an alle unsere Kunden & Partner!
Wie läuft es mit dem Arbeiten unterwegs? Alles wie geplant, oder musstet ihr erst einen Modus/Ablauf für euch finden? Wie sieht der jetzt aus?
Wir sind beide nicht der Typ, der sich entspannt zurücklehnt, wenn es gut läuft und so versuchen wir immer noch ein Stückchen zu optimieren und lernen mit jedem Job wieder ein Stückchen dazu.
Betrachtet man allerdings nur die Situation des mobilen Büros in Europa – so müssen wir uns an der Stelle auf die Schulter klopfen, da haben wir alles gut geplant und vorbereitet: von Internet über Strom, bis zu Software und Controlling.
Mittlerweile ist unsere agenturinterne Infrastruktur auf einem sehr hohem Level. Da gibt es viele klar definierte Arbeitsabläufe, Instrumente und Prozesse – zum einen weil Paul seine Kunden genau darin berät und entsprechend vorlebt, zum anderen weil wir es als Kontrast zu unserem sonst so freien Lebensstil auch benötigen.
Ein klaren Arbeitsalltag gibt es nämlich nach wie vor nicht. Das ist uns aber auch sehr wichtig. Wir wollen die größte Freiheit und die bedeutet eben auch, weitestgehend dann zu arbeiten wann wir es wollen.
Ganz ehrlich: Geht ihr euch auf so engem Raum im Van auch mal auf die Nerven? Was macht ihr dann?
Wir würden lügen, wenn wir sagen, dass immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist.
Natürlich gibt es bei zwei Menschen, Partner und Kollegen mal Reibereien.
Was wir dann machen? Reden und Verständnis zeigen. Der Grund für einen Streit ist ja meist ein nicht erfülltes oder verletztes Bedürfnis und das muss man herausfinden und behandeln.
Ansonsten versuchen wir, dass jeder auch seinen Freiraum hat, Zeit für sich und vor allem seine ganz eigenen Hobbies und Dinge, die ihm Spaß machen.
Wir haben bei unserer Abreise alle unsere Freunde in ein Gästebuch schreiben lassen – manchmal, wenn wir genervt sind, dann schauen wir da rein 😉
3 Dinge, die ihr heute anders machen würdet bei eurem Projekt?
- Stichwort Minimalismus: von Anfang an hätten wir viel weniger einpacken müssen. Es ist gleichermaßen erstaunlich und grandios wie wenig Sachen man eigentlich braucht.
- Die richtige Mischung aus Planung und Überraschung: ganz zu Beginn haben wir jede Stadt geplant, ein paar Monate später uns nur noch treiben lassen. Beides waren extreme und wir wollen versuchen, den goldenen Mittelweg zu finden.
- Und zuletzt: Konzentrier dich auf eine Sache! Wir sind schon oft total ins Strudeln gekommen, weil wir Arbeiten, Reisen, Aussicht und Internet gleichzeitig haben wollten. Was man gerne zu Beginn vergisst, dass die Van-Logistik und die Sicherstellung der Ressourcen einfach Zeit in Anspruch nimmt und man nicht wie früher in einer Wohnung automatisch alles „da hat“.
Wenn irgendwas fehlt, fällt das im Van viel mehr ins Gewicht.
Gibt es Dinge, die euch vollkommen überrascht haben auf euren Reisen (positiv oder negativ)?
Man kann alles machen! Letzten Winter waren die Gedanken, in einem Van durch die Weltgeschichte zu reisen und dabei Geld zu verdienen noch Seifenblasen – jetzt ist alles wahr geworden – und es funktioniert!
Also Leute: setzt euch hin und plant ein bisschen, dann könnt ihr eure Träume verwirklichen!
Was uns allerdings manchmal negativ überrascht ist, wievielen Vorurteilen man sich stellen muss und, dass Fremde manchmal besser zu wissen scheinen, wie wir leben als wir selber.
Dagegen hat uns mega gefreut, wie gut und einfach es geht, binnen Europa unterwegs zu sein, Grenzen zu überqueren, mit einer Währung zu zahlen, Locals kennenzulernen und in Kulturen reinzuschnuppern.
Das ist schon ein tolles Gefühl und bestätigt uns total in dem Vorhaben, erstmal Europa zu entdecken.
Wie geht es weiter für euch? Bleibt ihr unterwegs, lasst ihr euch irgendwo nieder, oder geht’s auch mal wieder nach Hause?
Wir haben ein Bedürfnis festgestellt. Wie ein Seemann auf Reisen muss man eben auch manchmal an Land gehen. Deswegen haben wir uns eine kleine Base oder einen Zufluchtsort geschaffen, wo wir immer hinfahren können, wo wir Platz haben, wo wir Snowboards gegen Surfboards tauschen können und uns manchmal vom Reisen „ausruhen“ können.
Die Reise im Van ist ja für uns auch eine Reise zu uns selbst und wir freuen uns über jede Erkenntnis die wir so gewinnen und sehen mal, wo es uns hintreibt.
Auf dass die Welt uns überraschen möge!
Übrigens: Paul und Kathi nutzen diverse Cloud-Tools, um ihre Agentur ortunabhängig zu managen. Zum Beispiel das Rechnungsprogramm Debitoor, um auch unterwegs jederzeit Rechnungen schreiben, Ausgaben erfassen und von Kunden bezahlt werden zu können.
Be First to Comment